Wie entsteht ein Bild mit Pastellkreide?

Ich weiß nicht, ob andere Maler, die mit Pastellkreide arbeiten, genauso verfahren wie ich.
Da ich an der Staffelei arbeite, das Papier, auf dem ich male, also fast senkrecht vor mir steht (damit der Kreidestaub, der beim Abrieb auf dem Papier entsteht, nach unten rieselt), gehe ich bei all meinen Bildern immer gleich vor:

Als erstes fertige ich eine Vorskizze auf dem Papier mit einem Pastellstift (kein Bleistift!!). Je nach Motiv fällt die Skizze einfacher oder aufwendiger aus.

Ich fange immer am oberen Drittel des Bildes an. Bei Landschaften ist es meist der Himmel oder ein anderer Hintergrund. Ich lege dabei grobe Farbflächen an, um das Verhältnis zueinander besser erfassen zu können.
Der Grund, warum ich oben anfange, ist der, weil der Kreidestaub der Schwerkraft folgend nach unten rieselt über das ganze Papier, das ich bemalen möchte.
Würde ich unten anfangen, würde der Kreidestaub die ganze Zeit über die bereits gemalte Fläche rieseln und dabei Spuren hinterlassen. Bei hellen Farben ist dies nicht so schlimm, aber bei dunklen Farben machen sich die Kreidespuren umso deutlicher bemerkbar.
Beim Anlegen der Farbflächen nehme ich in der Regel harte Kreiden. Auch beim Verdichten dieser Flächen bleibe ich meist bei den harten Kreiden. Dabei schimmert das (farbige) Papier immer noch zum Teil sehr stark durch.
Wenn ich diese Farbflächen z.B. beim Himmel angelegt habe, verdichte ich diese weiter mit der Fingerkuppe. Ich reibe dabei die Farben geradezu in das Papier, damit eine satte, geschlossene Oberfläche entsteht und die Papierfarbe nicht mehr zu sehen ist. Dies ist wichtig beim Blau des Himmels oder dem Abendrot bei untergehender Sonne. So erreiche ich auch den fließenden Übergang vom tiefen blau am oberen Bildrand über hellgelb oder rosa bis zum kräftigen gelb-orange am Horizont.
Bei großen Flächen nehme ich Zeige- oder Mittelfinger, bei feinen bzw. kleineren Stellen gerne den kleinen Finger. 

So arbeite ich mich Schritt für Schritt von oben nach unten, wobei ich auch hier wieder so vorgehe, daß ich die einzelnen Farbflächen erst mal grob festlege und dann immer mehr verdichte.
Erst zum Schluß male ich die Feinheiten, z.B. Blätter, Baumrinde, Gräser usw.

Wenn das Bild soweit "fertig" ist, lasse ich erst mal ein wenig "ruhen", um dann noch die eine oder andere Ergänzung zu machen, die oft nur in Details besteht und dem Betrachter des "fertigen" und dann des endgültigen Bildes vielleicht gar nicht auffallen mag.

 Ich nehme das Papier Canson Mi-Teintes, das es in vielen Farbstufen gibt.
Je nach Motiv wähle ich die entsprechende Farbe aus, die am besten dazu passt.
Es kommt auch mal vor, daß ich manche Stellen gar nicht bemale, sondern die Farbe des Papieres mit ins Bild einfließen lasse.
Inzwischen habe ich fast 40 verschiedene Farbtöne stets vorrätig.

Das Spektrum der Kreiden reicht von den sehr harten Kreiden (Faber Castell) über mittel-weiche Kreiden (Rembrandt, Sennelier) bis zu sehr weichen Kreiden (Schmincke).
Ich benutze auch Pastellstifte für feine Arbeiten. 

Je nach Motiv bzw. Detailreichtum eines Bildes benötige ich zwischen drei und fünfzehn Stunden, wobei ich ein Bild nicht in einem Zug durchmale. 
Ich muß dazu in der Stimmung sein und wenn ich über einen längeren Zeitraum an Details male, bin ich ausgepowert und brauche eine Pause. Ich male auch nicht täglich an einem Bild. So können sich bis zum fertigen Bild schon mal zwei Wochen und mehr hinziehen, denn es gibt Tage zwischendurch, an denen ich nicht zur Kreide greife.
Ich habe aber auch schon ein Bild in einer Stunde gemalt.



Nun aber genug der Theorie.
Ich möchte diesen Vorgang anhand von zwei Beispielen zeigen:

Beispiel 1:

Landschaft um Weissach:  Sonnenuntergang im November

Nach der Skizze mit Pastellstift beginne ich mit dem Himmel.
Ich deute schon die gelben Stellen gegen den Horizont an.

Ich lege die Bäume und Sträucher im Hintergrund ganz grob mit violetten Tönen an.

Nun beginne ich mit den Bäumen und Sträuchern im Mittelgrund. Dabei lege ich schon Details fest.

Die beiden Bäume im Vordergrund kommen als nächstes dran.
So kann ich besser die Perspektive erfassen.

Die beiden Bäume im Vordergrund bekommen mehr Äste und ich deute schon den Wiesenhang an.
Das Highlight des Bildes male ich auch schon ein: die untergehende Sonne in der Astgabel!

Wenn ich die kleinen Bäume der Streuobstwiese rechts im Mittelgrund eingesetzt habe kommt nun der Feldweg dran, zunächst mit groben Farbflächen.

Der Feldweg ist nun fast schon fertig und der Stamm des rechten Baumes wird ausgemalt.

Nun male ich weitere Details in die Wiesen und ich deute die Schatten an, die die Sonne wirft.

Der Zaun entlang des Feldweges wird noch eingemalt.

Und die Wiese unter den Bäumen rechts bekommt noch ein paar Details verpasst.

Das fertige Bild!

Detailaufnahme 1:
Die Bäume und Sträucher am Horizont des Feldweges.

Detailaufnahme 2:
Der Feldweg

Detailaufnahme 3:
Die untergehende Sonne in der Astgabel.

Detailaufnahme 4:
Die Wiese im Vordergrund rechts mit den Schattenwürfen.

Beispiel 2:

Knabenkopf, Botswana

Diesmal lege ich das ganze Bild in den einzelnen Farbflächen fest.

Ich lege im nächsten Schritt mit den dunklen Flächen den schattigen Hinterkopf an.

Ich beginne bereits im frühen Stadium mit dem Einreiben der Farben in das Papier, beginnend an Mund, Nase und Stirn.

Ich male den Strich des geschlossenen Auges ein und setze das Verdichten des hellen Gesichtes zum Übergang an die dunklere Schläfe und Wange fort.

Den Schatten, den das Kinn auf den Hals wirft, male ich aus sowie weitere Partien am Übergang zum Hinterkopf.

Den dunklen Hinterkopf male ich aus.
Und ich mache die Übergänge der Sträucher im Hintergrund weicher, indem ich auch hier die Farbflächen verreibe.

Ein schwieriger Teil: das Ohr.
Da ich es bisher ausgelassen habe, muss ich wieder die Farbtöne treffen, die ich beim Übergang zu den dunkleren Stellen malte.

Zum Schluß kommt der Hals dran mit seinen Hautfalten.
Und ich dunkle den Hintergrund etwas nach.
Das Bild ist fertig!!